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Das kleine Paris an der Sülz

Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin von Paris, hat für die Millionenmetropole an der Seine ein ebenso fortschrittliches wie ehrgeiziges Ziel ausgegeben:
Paris soll zu einer 15-minute City werden, also einer Stadt, in der alle Ziele des täglichen Lebens innerhalb von 15 Minuten zu Fuß, mit dem ÖPNV oder eben mit dem Fahrrad zu erreichen sind.
Das Konzept der “ville de quart d’heure” ist schon etwas älter, wurde aber 2019 durch den kolumbianischen Professor Carlos Moreno erneut populär gemacht und nun durch Anne Hidalgo auf die Weltstadt Paris projiziert.

Nun ja, Rösrath ist nicht unbedingt Paris, in einem Punkt sind wir der französischen Hauptstadt jedoch voraus: Ganz gleich in welchem Stadtteil man wohnt, eines der drei Ortszentren in Rösrath, Hoffnungsthal oder Forsbach lässt sich gut innerhalb von 15 Minuten mit dem Fahrrad oder E-Bike erreichen.

Rösrath ist also bereits so etwas wie eine 15-Minuten-Stadt, in der wir fast alle Wege mit dem Fahrrad zurücklegen könn(t)en.

Trotzdem sind die Straßen und auch die Ortskerne voll mit Autos, fahrend wie auch parkend. Warum also steigen die Rösrather:innen – auch bei gutem Wetter – immer noch lieber ins Auto, wo das Fahrrad doch kaum langsamer ist, keinen großen Parkplatz braucht und mittlerweile sogar ziemlich in Mode gekommen ist?

Keine Überraschung an dieser Stelle: Es sind hauptsächlich die kümmerlichen Radwege entlang der stark befahrenen Straßen.
Ein übler Teufelskreis ist das, denn der starke Verkehr gepaart mit den nur mäßig gesicherten Radwegen führt zuerst zu einem Gefühl des Unbehagens und dann zu der Entscheidung, am Ende doch lieber mit dem Auto zu fahren. Der Sicherheit wegen.

Rösrath ist zudem eine stetig wachsende Stadt. Die Nachfrage nach (bezahlbarem) Wohnraum wird auch weiterhin konstant hoch bleiben und mit jeder neu gebauten Wohnung kommen circa 1,5 weitere Autos hinzu.
Es sollte also klar sein, dass wir perspektivisch andere Lösungen brauchen als den motorisierten Individualverkehr (MIV).

In diesem Zusammenhang bietet das Konzept der 15-Minuten-Stadt auch der Rösrather Politik einen sehr attraktiven Ansatzpunkt.
Denn neben einer verbesserten Infrastruktur für Radfahrende braucht es in gleicher Weise eine Vision, eine größere Idee, ein prägnantes und griffiges Leitbild.
Das Autofahren, auch das ist keine große Überraschung, steckt so tief in uns allen drin, dass wir es kaum noch hinterfragen – es ist die “natürliche” Art und Weise, von A nach B zu kommen.
Wir ärgern uns wohl über den vielen Verkehr und die verstopften Straßen, über den Mangel an Parkplätzen und vielleicht sogar über den Lärm. Aber wie so oft hat das mit unserem eigenen Verhalten erst mal nichts zu tun. Wir selbst haben ja etwas Wichtiges, Dringendes zu erledigen und da steigen wir schnell ins Auto und fahren “mal eben” dahin.

In diesem Sinne braucht es zunächst eine Veränderung des Bewusstseins, und genau hier leistet die Idee der 15-Minuten-Stadt einen sehr wertvollen Beitrag.
Rösrath als 15-Minuten-Stadt, als Paris an der Sülz, ist genau diese größere Idee, die Menschen dazu bringt, ihr eigenes Verhalten zu überdenken und Schritt für Schritt zu verändern.

Es geht auch überhaupt nicht darum, dass wir alle jetzt jeden Meter mit dem Fahrrad fahren sollen. Eigentlich geht es nur darum, dass wir vielleicht nicht jeden Meter mit dem Auto fahren müssen.

Und ganz natürlich werden sich, nachdem der Schalter im Kopf einmal umgelegt wurde, die Fragen nach guten und sicher zu befahrenden Radwegen sehr schnell anschließen. Auf den Hauptstraßen zwischen Rösrath und Hoffnungsthal oder in Forsbach macht das Fahrradfahren schlichtweg keinen Spaß.
Hier wird es nicht ohne politischen Mut gehen, in dem Sinne, dass der Verkehrsraum anders aufgeteilt wird und das Auto einige seiner Privilegien herzugeben hat.

Zurück zu Anne Hidalgo, die im vergangenen Jahr die Wahl zur Pariser Bürgermeisterin nicht trotz dieser Idee der 15-minute City gewonnen hat, sondern wohl viel eher deswegen. Dieses Ergebnis unterstreicht eigentlich nur, dass die Mehrzahl der Menschen, auch in Rösrath, sich mutige und zukunftsfähige Politik wünschen.
Fahrradfahrer:innen sind zunehmend nämlich auch Wähler:innen, das wird 2025 noch mehr gelten als es 2020 schon gegolten hat.

Eine moderne Stadt ist Fahrradstadt und Rösrath hätte wirklich die allerbesten Voraussetzungen dafür.

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Ein Kommentar

  1. Johannes, der kann es.
    Wieder einmal beweist dieser kluge Kopf durch seine Wortwahl, was bedeutsam wäre, Zeit zu investieren, um das eigene Handeln und Tun grundlegend zu überdenken und zu hinterfragen? Ist also das eigene Phlegma und die Bequemlichkeit ein beachtenswerter Hinderungsgrund? Ich meine “NEIN“, denn es geht ja um Größeres als das selbstbestimmte Ego. “I Love Hoffnungsthal“ , denn die wenigsten können von sich behaupten, z.B. einen Bambus gepflanzt zu haben. In Bogotá wird der Autoverkehr insoweit reduziert, dass an verschiedenen Wochentagen Kfz mit einer bestimmten Ziffer oder einem Buchstaben von Verkehr ausgeschlossen werden. In Call gibt es Vergleichbares: So wie seinerzeit hier zur Ölkrise gibt es autofreie Sonntage zur Freude aller Skateboarder, Radfahrer 🚴 sowie pedestrians. In Essen im Ruhrgebiet, der ehemaligen Zentrale für Kohle, Koks und Stahl, die unsere Republik nach dem Krieg wieder Aufschwung verschaffte, wurde während der Zeit der “Kultur Hauptstadt 2010“ die komplette Bundesautobahn A 40 für den Autoverkehr gesperrt und viele Menschen stellten Tische auf, es gab Kaffee ☕ und Kuchen und ich vernahm ein Zehn-Sitzer-Velo, welches von Mitbürgern aus Oldenburg angetrieben wurde. Der öffentliche Raum wurde durch die “Critical Mass” positiv okkupiert. Sehr zum Wohle der Menschen, die angrenzend wohnend, nicht durch den 40-Tonner-Schwerlastverkehr belästigt werden. Wie denkt der Rat der Stadt Rösrath darüber? Dies wird bestimmt der Autor und Schriftsteller Johannes Thies bei seinen nächsten Aktivitäten ans Licht bringen, zum Wohle der gesamten Menschheit.

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